Schleich Dich! – Stealth-Games im Wandel der Zeit (Teil 1: 1979 bis 1987)

Stealth

Stealth-Games

Angehörige meines biblischen Geburtsjahres von 1971 mögen sich noch an den Schlager „Schmidtchen Schleicher“ von Nico Haak erinnern. In seinem Gassenhauer von 1976 singt der im holländischen Delft geborene Entertainer die Zeile: „Oh, Schmidtchen Schleicher mit den elastischen Beinen, wie der gefährlich in den Knien federn kann.“

Tatsächlich werden „elastische Beine“ in dieser Beitragsreihe noch eine bedeutende Rolle spielen. Zwar nicht im Sinne eines Pop-Hits, dafür aber als Merkmal der Stealth-Games, die hierzulande auch oft als „Schleichspiele“ bezeichnet werden. Dass es Spiele dieses Genres bereits seit der Urzeit der Videospiele gibt, konnte ich vor der Recherche selbst kaum glauben. Aber das erste Schleichspiel erblickte bereits 1979 auf dem Commodore PET 2001 das Licht der Welt.

Wegen der Menge an Informationen habe ich meine persönliche Übersicht auf drei Beiträge aufgeteilt. Dies ist der erste Beitrag der Reihe.

Zu Beginn möchte ich die Begrifflichkeit des „Schleichspiels“ definieren. Was genau sind Stealth-Games und wodurch zeichnen sie sich aus?

Schleicher-Kriterien

Adieu Modern Warfare: Stealth-Games bestrafen, was den offensiven Ego-Shooter ausmacht. Das englische Wort „stealth“ bedeutet schließlich Heimlichkeit. Und so gilt es in Schleichspielen im Wesentlichen darum, Kämpfe und laute Geräusche zu vermeiden. Der Gegner soll nicht erstürmt, sondern leise aus der Deckung – sofern überhaupt nötig – angegriffen werden. Ein Angriff führt dann in der Regel zum Betäuben und nicht zum Eliminieren des Kontrahenten.

Idealerweise erreicht man seine Spielziele sogar ganz ohne vom Gegner entdeckt zu werden („Ghosting“), indem man sich hinter Objekten oder im Schatten versteckt und dann behutsam von Ecke zu Ecke huscht. Dabei können oft verschiedene Wege und Stile zum Einsatz kommen. Wurde man dann doch entdeckt, muss man warten, bis „die Luft wieder rein ist.“

Diese Prinzipien lassen sich gut über Trial-and-Error austesten und führen zwangsläufig zu einem organisierten Vorgehen. Die Umgebungen sind genau zu erkunden und Planung ist wichtig. Das Gamedesign stellt dazu entsprechende Licht- und Schatteneffekte bereit oder unterstützt mit Sound-Effekten, die beispielsweise das entdeckt werden („Alerting“) kennzeichnen. Auch sind Kenntnisse der AI (Künstlichen Intelligenz) der Gegner wichtig. So müssen die Wege, die die Gegner abschreiten, erlernt und ein passendes Timing für den eigenen Einsatz gefunden werden. Stealth-Games haben oft eine zum Spiel passende Hintergrundgeschichte und leben von der Atmosphäre.

Obwohl ich selbst gern Ego-Shooter mit Geschichten (Half-Life, Uncharted, Bioshock) spiele, habe ich gemerkt, dass ich dabei dennoch sehr „stealth-mäßig“ vorgehe. Ich bin oft langsam, erfreue mich der Umgebung und versuche taktisch zu spielen. Deshalb fällt mir persönlich eine klare Trennung zwischen Schleichspielen und klassischen Shootern oft nicht so leicht. Meines Empfinden nach sind beide Spielgenres miteinander verbunden. Natürlich ist Half-Life kein Stealth-Game, aber behutsam und geplant kann man ja auch dort vorgehen. Ein großer Freund von Schleichspielen bin ich seit meinem erstem Hitman geworden.

Manbiki Shounen (1979, Hiroshi Suzuki FÜR TAITO)

Detaillierte Hintergründe zu Manbiki Shounen zu finden ist gar nicht so einfach. Zwar wird es im Internet oft als erstes Schleichspiel erwähnt, genaue Quellen dazu finden sich aber kaum. Ich konnte jedoch ein ausführliches Interview mit Hiroshi Suzuki in „The Untold History of Japanese Game Developers“ von John Szczepaniak nachlesen. Einem großartigen Buch, dass sich in meiner privaten Bibliothek widerfindet.

Der 1960 geborene Hiroshi kam 1979 in der Universität Tokio mit dem PET 2001 in Berührung. Manbiki Shounen wurde in weniger als einem Monat in BASIC entwickelt und im November 1979 fertigstellt. Hiroshi stellte das Spiel seinerzeit auf einem Festival der Universität vor. Später wurde es im RAM Magazine (Ausgabe Februar 1980) als Listing abgedruckt.

Die Idee zum Spiel entstand, als Hiroshi in den 1970er Jahren einen Gemischtwarenladen in der Nähe seiner Uni besuchte. Die Waren dort türmten sich in den Regalen so hoch auf, dass man sie oft nur schwer erkennen konnte. Gleichwohl waren die Gänge für den Käufer sehr eng. Diese Situation, so dachte sich Hiroshi, hat etwas von einem Spiel. Er stellte sich vor, dass die Gestaltung des Ladens auf Ladendiebe verlockend wirken könnte. Die Inspiration zu Manbiki Shounen war geboren.

In Manbiki Shounen galt es „$“-Symbole in einem Einkaufladen zu stehlen, ohne in die Sichtweite des Verkäufers zu gelangen. Hiroshi entwickelte sogar eine zweite Version (Manbiki Shoujo, engl. Shoplifting Girl) des Spiels in Assembler, um bessere Grafiken und Sound zu ermöglichen.

Später entwickelte und verkaufte Taito das ebenfalls oft zitierte Arcade-Spiel Lupin III, dass auf den Ideen von Manbiki Shounen basiert.

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Castle Wolfenstein (1981, Silas Warner für Muse Software)

„Mein Leben!“, „Halt!“ oder „Kommen Sie!“ – wer kennt diese Sätze der kratzig-künstlichen Sprachausgabe von Castle Wolfenstein nicht? Ich habe das Action-Adventure auf dem Commodore 64 kennengelernt und war damals aufgrund des mit Verboten beschwerten „Dritten Reich“-Settings, wie viele andere Kinder, neugierig auf das Spiel.

Wolfenstein sieht auf den ersten Blick aus wie Sterns Berzerk, macht aber schnell klar, dass hier weniger Action als Taktik gefordert ist. Tatsächlich handelt es sich um ein klassisches „Escape game“. Ziel ist es geheime Kriegspläne im Schloss aufzuspüren und die Gemäuer lebend zu verlassen.

Das ursprünglich auf dem Apple II entstandene Spiel ist auf keiner Plattform eine Grafik-Schönheit. Die Optik ist eher sachlich geprägt, hat aber durch seinen reduzierten Look und die bereits erwähnte Sprachausgabe einen besonderen Reiz.

Castle Wolfenstein kennt zwei Gegnerklassen: einfache Wachen und SS-Sturmtruppen. Während die Wachen nur im gerade sichtbaren Raum verbleiben können, sind die Sturmtruppen in der Lage den Spieler über mehrere Räume zu verfolgen. Außerdem kann man die einfachen Wachen durch das Tragen von (gestohlenen) Uniformen täuschen, was bei den SS-Wachen nicht funktioniert. Es ist zum Erreichen der Ziele nicht zwingend notwendig Gegner zu erschießen. Trifft man – mit gezogener Waffe – auf eine Wache, hebt sie in der Regel die Hände und kann durchsucht werden. So findet man Schutzwesten oder Munition. Interessant ist, dass die feindlichen Soldaten nicht über tote Kameraden gehen, so dass diese zum „Blocken“ von Eingängen zu Räumen oder zum „Einsperren“ von Gegnern genutzt werden können.

Die geheimen Kriegspläne sind in Kisten versteckt, die sich verteilt in 60 Räumen (über fünf Ebenen) befinden. In diesen Kisten kann man übrigens auch krude und für das finale Gameplay vollkommen irrelevante Dinge wie Bratwurst, Liebfrauenmilch, Eva Brauns Tagebücher oder Schnaps finden. Übrigens: Die Hakenkreuze im Spiel sind alle falschherum dargestellt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass taktisches Vorgehen und das „suchen und finden“ die wesentlichen Spielelemente von Castle Wolfenstein sind. Zwar sind Ghosting oder Alerting hier noch nicht konsequent eingesetzt, aber dennoch erschafft das Spiel eine nachhaltige Stealth-Spannung und -Atmosphäre.

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Infiltrator (1986, Chris Gray für U.S. Gold)

Mit Infiltrator hat Chris Gray einen interessanten Genre-Mix erschaffen, der eine Helikopter-Flugsimulation mit einem raumbasierten Action-Adventure paart. Das Spiel ist in sechs zusammenhängende Missionen unterteilt und bietet in beiden Spielmodi Stealth-Elemente.

Beim Fliegen des Helikopters müssen Freunde oder Feinde unterschieden und ggf. ausgeschaltet werden. Danach gilt es den Zielort im „Whisper mode“ anzufliegen. In den Missionen am Boden stehen dem Spieler dann fünf Items (papers, gas canisters, gas grenades, mine detector und explosives) zur Erreichung der Missionsziele zur Verfügung.

In jeder Mission müssen Security Cards gefunden und eingesetzt werden, um den Auftrag abschließen zu können. In der vorletzten Mission beispielsweise muss der Wissenschaftler Dr. Phineas Gump aufgespürt, ihm eine Unsichtbarkeits-Pille verabreicht und so gerettet werden.

Das fünfte Item wird für das finale Spielziel – die Zerstörung des „Mad leaders“ – benötigt. Hierzu müssen in allen sieben Kontrollräumen Sprengsätze platziert werden, bevor ein Countdown von 20 Minuten abläuft.

Auch Infiltrator bedient sich bereits Stealth-Elemente, die vor allem in späteren Spielen wichtig wurden. Der „Whisper mode“ des Helikopters oder der Einsatz von Ausweispapieren zum Austricksen von Wachen sind hier klassische Beispiele.

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Metal Gear (1987, Hideo Kojima für Konami)

Kojimas Meisterwerk von 1987 markiert einen Meilenstein in der Geschichte der Stealth-Games. Abgesehen von der erwähnenswerten erzählerischen Vielfalt der gesamten Marke, wird das Spiel oft auch als Vorreiter der Schleichspiele genannt.

Als es im Sommer 1987 für den MSX-2 Heimcomputer erschien, versetzte es die Spieler in eine Handlung, die im Südafrika der 1990er Jahre spielte. Dort muss der junge Spezialgent Solid Snake – unser Protagonist – seinen Kameraden Gray Fox aus den Händen der Festungsnation Outer Heaven befreien. Ziel des Spiels ist es, die Festung zu infiltrieren, eine finale Waffe namens „Metal Gear“ zu zerstören und Outer Heaven zu zerschlagen.

Gleich zu Beginn stellt Snakes Auftraggeber („Big Boss“) klar, dass es sich um eine Infiltrationsmission handelt. Es geht also darum, möglichst nicht entdeckt zu werden.

Karten, Ferngläser, Minen und Gasmasken müssen eingesetzt werden. Gegner werden entweder taktisch umgangen, oder mit Fäusten unschädlich gemacht. Auch muss man sich vor den Sicherheitskameras, Lichtschranken usw. in Acht nehmen. Im Lauf des Spiels wächst das Equipment von Solid Snake beachtlich an und es können auch Schusswaffen eingesetzt werden. Dennoch bleibt das taktische Vorgehen das zentrale Element von Metal Gear.

Auch 2017, 30 Jahre nach dem Erscheinen, sieht die Draufsicht von Metal Gear noch immer gut aus. Für 2018 wurde ein neuer Spin-Off der Metal Gear Serie angekündigt: Metal Gear Survive.

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Und hier findet ihr den zweiten Teil dieser Miniserie.

 

Über André

Mich begeistern Videospiele seit dem Anfang der 1980er Jahre. Aus diesem Interesse heraus habe ich 2009 die Webseite Videospielgeschichten (VSG) gegründet, auf der ich gemeinsam mit verschiedenen Autoren/innen persönliche Beiträge über Computer- und Videospiele veröffentliche. Gerne könnt ihr auch auf Twitter folgen.

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Ein Kommentar zu “Schleich Dich! – Stealth-Games im Wandel der Zeit (Teil 1: 1979 bis 1987)”

  1. Vielen Dank nochmals Moni, dass ich meine Reihe hier bei Dir veröffentlichen kann :) Nachdem ich fast ein halbes Jahr dafür gebraucht habe, bin ich endlich zum Abschluss gekommen. Spiele thematisch noch einmal Revue passieren zu lassen ist eine wirklich schöne Sache. Man achtet erneut auf die Details und stellt auf diesem Wege fest, wie wertvoll diese Werke eigentlich sind. Was sie geleistet haben und auch wie sehr sie einen selbst, oder nachfolgende Spiele beeinflusst haben. Es hat mir eine große Freude bereitet noch einmal in diese Meilensteine eingetaucht zu sein.

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