Get Even – Focus and Proceed

Was wäre, wenn man seine Erinnerungen mittels VR-Technologie noch einmal durchleben könnte? Was wäre, wenn diese Erinnerungen dann aufgezeichnet und von anderen ebenfalls erlebt werden könnten? Was wäre, wenn man sich aber nicht mehr genau erinnern kann und die Erinnerungen dadurch eventuell falsch sind?

Get Even greift dieses spannende Thema auf und wirft mich in die Erinnerungen von Cole Black hinein, dem Chef der Sicherheitsabteilung eines großen Unternehmens. Black war in kriminelle Machenschaften, Industriespionage und Erpressung verwickelt, kann sich aber im Moment an nichts erinnern. Mittels dieser neuen Technologie soll er nun mehr oder weniger unfreiwillig dazu beitragen, die Hintergründe eines Verbrechens aufzuklären.

Please Proceed

Ich stolpere also durch meine Gedächtnislandschaft und versuche aus kleinen oder größeren Hinweisen die Geschichte zu rekonstruieren. Dokumente oder Diktiergeräte, die ich auf meinem Weg finde, helfen mir dabei. Und ich muss lesen … sehr viel lesen. Das hat mir zunächst ein Augenrollen entlockt, denn ich bin nicht der Typ, der jedes Fitzelchen Papier in Videospielen durchliest, um nur ja nichts von der Story zu verpassen. Ich klicke normalerweise jedes Schriftstück möglichst schnell weg und bin eher genervt, wenn ich das Gefühl habe, dadurch im Spielfluss nur aufgehalten zu werden.

Doch Get Even zwingt mich dazu, mir jedes Papier genauer anzusehen und jede Sprachnachricht anzuhören. So etwas wie eine klassische Handlung gibt es nämlich nicht. Ich kann mit meiner Umwelt kaum interagieren, sondern bin eher beobachtend unterwegs. Dabei werde ich auch mit einer Art Smartphone ausgestattet, das mich auf mögliche Beweismittel hinweist und diese dann auch praktischerweise gleich noch analysiert. Ich finde somit Fingerabdrücke oder DNS an Gegenständen und reime mir langsam die Story zusammen.

Eine Wärmebildkamera, ein UV-Licht und eine Kartenfunktion ergänzen die Features des kleinen Geräts. Die Handhabung ist anfangs etwas fummelig, aber es leistet gute Dienste. Waffen finde ich im späteren Verlauf auch, wodurch im ersten Augenblick aber verwirrt war. Wozu brauche ich in meinen Erinnerungen eine Waffe?

Relax and Explore

Begleitet werde ich von Red, der mit einer zunächst gesichtslosen Stimme zu mir spricht. Er treibt mich immer wieder vorwärts, beantwortet aber kaum meine Fragen. Erst später finde ich seine Identität heraus, welche Ziele er verfolgt und welche Rolle er in diesem verwirrenden Spiel spielt.

Trotzdem seiner Ratschläge werde ich mir immer unsicherer. Sind das noch meine eigenen Erinnerungen? Einige Dinge kann ich gar nicht so erlebt haben, wie sie mir hier vorgegaukelt werden. Viele parallele Handlungsstränge und jede Menge Personen, die unterschiedliche Beziehungen zueinander haben, überfordern mich zunächst.

Im Laufe des Spiels lichtet sich dann so langsam der Nebel. Als Rückzugsort bekomme ich einen Raum zur Verfügung gestellt, in dem meine Beweise und Fundstücke wie bei einem Kriminalfall an Wände gepinnt und miteinander verbunden werden. Hier habe ich die Möglichkeit, noch einmal alles anzusehen und auch bestimmte Erinnerungen noch einmal aufzurufen, wenn mir noch zusätzliche Indizien fehlen.

Die zunächst losen Enden der einzelnen Handlungsstränge und die Hintergrundstories der beteiligten Personen fügen sich nach und nach zu einem Gesamtbild zusammen. Hier erfahre ich etwas durch das Belauschen eines Gesprächs, dort bekomme ich ein paar zusätzliche Infos aus einer Krankenakte oder ich weiß plötzlich, was eine Person an einem bestimmten Ort wollte.

Wie ich gerade diese Zeilen schreibe, bin ich selbst überrascht, wie sehr mich dieses Spiel fesselt. Narrative Spiele sind normalerweise überhaupt nicht mein Fall. Get Even schafft es aber dennoch einen Spannungsbogen aufzubauen, der mich über Stunden beschäftigt. Freiwillig suche ich akribisch nach Dokumenten oder anderen Hinweise, weil ich unbedingt erfahren will, wie es weitergeht.

Focus and Proceed

Die Spielumgebungen von Get Even sind zunächst etwas verwirrend. Abbruchreife Häuser, moderne Bürogebäude, feuchte Keller, unübersichtliche Tiefgaragen, sonnendurchflutete Wälder mit kleinen Flussläufen … das alles passt für mich auf den ersten Blick nicht zusammen.

Dies und gelegentliche Shooter- oder Stealtheinlagen oder auch Rätsel, wie das Herausfinden eines Türcodes, wirkten auf mich wie ein zusammengewürfeltes Sammelsurium von unterschiedlichen Genres und als ob die Entwickler sich nicht für eine Richtung entscheiden konnten. Das hat mich anfangs ziemlich gestört, denn das Spiel wirkte dadurch für mich unharmonisch.

Was aber, wenn das alles so gewollt ist und eine Botschaft dahintersteckt? Diese Frage habe ich mir dann gestellt und auf Hinweise geachtet. Sind die schwer bewaffneten Gegner z.B. eine Metapher dafür, dass mein Gehirn bestimmte Informationen nicht preisgeben will und dass ich diese Barriere erst durchbrechen muss um weiterzukommen? Ich habe das jetzt einmal für mich so entschieden und dann wird das Bild langsam stimmig.

Mein Fazit

Auch wenn die Technologie, die in Get Even zum Einsatz kommt, noch Fiktion ist, so ist die Beschäftigung damit ein spannendes Thema. Allerdings dass wir unserem Gedächtnis nicht trauen dürfen, da es uns oft Dinge vorspielt, die so gar nicht passiert sind, kann auch die beste Technik das nicht ausgleichen. Aber diese fiktive Technik ja nur die Grundlage für die Story, die es in Get Even zu erkunden gilt. Und diese ist auf jeden Fall spannend und facettenreich erzählt und es macht Spaß sie Stück für Stück zu enthüllen.

Wer explorative Spiele mag und auch vor kleinen Shootereinlagen nicht zurückschreckt, dem bietet Get Even eine überraschend spannende und verwickelte Story, die im Laufe des Spiels erschlossen werden kann. Unerwartete Wendungen und Zusammenhänge lassen das Spiel zu keiner Minute langweilig werden. Ein winziger Hauch Sci-Fi, Horror und Psychologie geben Get Even noch einmal die richtige Würze. Einzige Voraussetzung: Man muss zulassen, dass das Spiel die Führung übernimmt und man selbst nahezu nur ein Beobachter ist.

Get Even ist wirklich eine Überraschung und es steckt viel mehr in diesem Spiel als die Trailer vermuten lassen.

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Diese Review wurde zuerst auf GAMERZ.one veröffentlicht.

Über Minkitink

Ich lasse mich für viele verschiedene Genres begeistern, meine eindeutige Favoriten sind allerdings Schleich- und Actionspiele. Wenn die dann noch ins Steampunk- oder SciFi-Genre fallen, dann kann ein Spiel auch schon mehrfach durchgezockt werden. Horror- oder Shooter-Spiele werden zwischendurch auch gerne bearbeitet, wobei mangelnde Schnelligkeit meist durch hinterhältiges Heranschleichen an den Feind und das Schreien von Kraftausdrücken kompensiert wird.

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